Irresistible: Dirk Darmstaedter in Montabaur

by - Mai 16, 2016


Mein erstes Konzert besuchte ich im Jahr 1987: Depeche Mode in der Kölner Sporthalle. 1989 folgte dann das zweite, The Jeremy Days im Alten Wartesaal derselben Stadt. Die deutsche Band hatte damals mit ihrem Debütalbum recht großen Erfolg, und das Video zu "Brand New Toy" lief auf der neuen, europäischen Version von MTV rauf und runter. Ich verfolgte die Karriere der Band weiter und sah in den folgenden Jahren noch Konzerte in Schwandorf und München, dann wurde es um Dirk Darmstaedter und seine Kollegen etwas ruhiger.

Erst in den letzten Jahren (und nicht zuletzt Dank meines musikbegeisterten Freundes) wurde mir klar, dass Dirk Darmstaedter in den letzten 20 Jahren alles andere als inaktiv war, zwischenzeitlich ein erfolgreiches Plattenlabel gründete und auch immer wieder Alben veröffentlicht hat - aktuell die neue Platte "Beautiful Criminals".


Dass Darmstaedter grundsätzlich bereit ist, Wohnzimmerkonzerte zu spielen, steht auf seiner Website, außerdem entdeckten wir im Plan seiner aktuellen Tournee eine vielversprechende Lücke nach dem Auftritt in Köln. Also fragten wir an und erhielten beinahe postwendend eine Zusage. Juhu! Nur die Begeisterung unserer Stammzuschauer dafür, ein Konzert am Pfingstwochenende zu besuchen (noch dazu während des ESC-Finales) schätzten wir falsch ein, so dass die Anmeldungen zunächst etwas spärlich eintrudelten. In den letzten beiden Tagen vor dem Konzert zogen sie aber noch deutlich an, so dass meine Sorge, zu wenig Gäste zu haben, nahtlos in die andere Sorge überging, die nun gewachsene Gästezahl nicht verpflegen zu können.


Sobald Dirk Darmstaedter am Auftrittstag unser Haus erreicht hatte, konnte ich mich aber voll auf Sorge Nummer drei konzentrieren: Wir hatten bereits per Mail erfahren, dass der Musiker eine Katzenallergie hat, und deshalb meine beiden Haustiere ins Schlafzimmer ausgelagert und überall besonders gründlich gestaubsaugt. Dennoch musste er, als er mit uns bei Kaffee und Kuchen saß, plötzlich mehrmals hintereinander niesen. Ob das Konzert beeinträchtigt werden würde? Immerhin lenkte der Künstler sich erfolgreich mit der Vinylsammlung meines Freundes ab, insbesondere die Sammlerboxen von Suede und den Smiths hatten es ihm sichtlich angetan. Dennoch entschloss er sich, vor dem Auftritt noch schnell, das Fashion Outlet zu besuchen, und wir fragten uns, ob das vielleicht auch mit unserer allergenbelasteten Luft zu tun hatte.

Letztlich war es dann wohl doch nicht so schlimm, wenn auch sicherlich alle zufrieden mit der Entscheidung waren, dass wir für Dirk Darmstaedter ein Hotelzimmer gebucht hatten und er nicht, wie manche andere unserer musikalischen Gäste, in unserem Haus übernachtete.


Schnell waren der Abend und die Gäste da, und Darmstaedter begann sein Konzert mit einer Coverversion: "Motel Blues" von Loudon Wainwright III. Anschließend erklärte er, dass auch er selbst ein Lied über deprimierende Hotelzimmer geschrieben habe, nämlich in einem ETAP Hotel - und als kleinen Service-Hinweis bekamen wir auch die Information, dass sämtliche ETAP Hotels mittlerweile in "Ibis Budget" umbenannt worden sind und man sie folglich leicht aus Versehen buchen kann... Darmstaedters eigener Hotel Blues heißt "Learn To Love What's Killing Me".

Nach "Western Union" hörten wir zu "Capetown" eine weitere Geschichte: Der Sänger sei in einem kürzlichen Interview gefragt worden, warum er sich eigentlich nie einen eingängigen Künstlernamen gesucht habe. Die Antwort sei, dass ihm einst Herbert Grönemeyer geraten habe, nur seinen eigenen Namen zu verwenden, dieser sei zwar etwas sperrig, aber wenn man ihn sich einmal gemerkt habe, werde man ihn sicher nie vergessen. Allerdings zweifelte der Sänger später an dieser These, als ein Veranstalter ihn und seine Band kurz danach fälschlich als "Die Damstaedters" ankündigte. Zu "This is where I leave you", einem von nur drei gespielten Liedern des aktuellen Albums, erfuhren wir, es handele sich um einen Versuch, "Wichita Lineman" von Glen Campbell neu zu schreiben - was auch für beinahe alle seine anderen Lieder zutreffe.


Für eine Weile blieben wir bei "Beautiful Criminals", denn es folgte nun die aktuelle Single "Pop Guitars", zu der Darmstaedter erklärte, es ginge in dem Lied darum, als Jugendlicher von Musik gerettet zu werden, in diesem Falle speziell davon, in seiner eigenen Jugend "This Charming Man" von The Smiths im Radio gehört zu haben.

Nun erzählte der Künstler, dass der nächste Song anscheinend in Russland relativ bekannt gewesen sei, und zwar als Doppelsingle, auf deren einer Seite Modern Talkings "Cheri Cheri Lady" und auf der anderen dieses Lied war. Außerdem habe der damalige Manager der Jeremy Days die Band dazu überredet, "Brand New Toy" in der ZDF Hitparade zu spielen (die damals gerade erst damit begonnen hatte, englischsprachige Musik überhaupt zuzulassen). Der Manager hatte damals versprochen, der von der Band nur widerwillig absolvierte Auftritt werde den Song von Platz 11 der Singlecharts auf Rang 1 befördern, tatsächlich sank man aber in der folgenden Woche auf Platz 36.


Nun hörten wir also den Hit "Brand New Toy", und anschließend erzählte Darmstaedter, dass er häufig auf diesen "Nummer 1 Hit" angesprochen werde und dann stets erklären müsse, dass er nie eine gehabt habe - was für beide Seiten ein frustrierendes Gespräch sei. Deshalb habe er später ein Lied mit dem Titel "Number One Single" geschrieben, dieses könne er dann in solchen Unterhaltungen anführen.

Die Anwesenheit eines Kindes unter den Zuschauern inspirierte unseren musikalischen Gast, spontan "I Won't Give Up On You" zu spielen, das ihn an seine eigenen Kinder erinnert und speziell seinen damals Tennis spielenden Sohn. Zu "Won't Die for You" hörten wir die Geschichte, dass Darmstaedter von seinem besten Freund gebeten wurde, bei dessen Hochzeit aufzutreten - und dass er sich zunächst fragte, was aus seinem tendenziell eher deprimierenden Song-Portfolio er bei einem solchen Anlass überhaupt spielen solle, das folgende Lied ja schon einmal nicht.


Nun war es Zeit für ein weiteres Lied der Jeremy Days, nämlich "Julie Thru The Blinds" vom Debütalbum. Begleitend reichte Dirk Darmstaedter eine Art Poesiealbum durchs Publikum, das er für die Tournee spontan gekauft hatte, und in dem sich die Zuhörer bei Interesse verewigen konnten (und nachlesen, was andere geschrieben hatten). Nach "We Are There" verschwand er für etwa zehn Sekunden hinter unserem Bühnenvorgang, um dann anschließend gleich mit dem Zugabenteil weiter zu machen.

Zu "Beautiful Criminals" erläuterte er, das Lied sei die Antwort auf die ihm manchmal gestellte Frage, ob er denn einen Plan B zur musikalischen Karriere gehabt habe. Diesen gab es eigentlich nie, allerdings habe er sich früher gut vorstellen können, nach Monte Carlo zu gehen, dort auf Yachten zu arbeiten und weiße Anzüge zu tragen, sich abends in Casinos herum zu treiben und dabei Prinzessin Stéphanie (in die in den 80ern alle männliche Jugendliche verliebt waren und die mit "Irresistible" auch musikalischen Erfolg hatte) kennen zu lernen.


Auch zu "Walking with your shoes tied together" gibt es eine Geschichte, nämlich ein Wohnzimmerkonzert der anderen Art, bei dem Dirk Darmstädter sich schon wunderte, für einen Auftritt um 15 Uhr eingeladen worden zu sein, und der sich dann als Konzert vor Oberstufenschülern des Gymnasiums Quakenbrück entpuppte, bei dem sich herausstellte, dass die Schüler Songs von ihm eingeübt hatten - gemeinsam spielte man dann unter anderem dieses Lied. Das engelsgleiche Mitsingen der Schüler wollte er dann mit uns als Chor nachahmen, was vermutlich nur so mittel funktioniert hat.

Durch hartnäckiges Applaudieren erklatschten wir uns anschließend eine weitere Zugabe. Der Sänger kündigte zunächst an, als letzten Song das von meinem Freund vor Konzertbeginn gewünschte "Rome wasn't built in a day" zu spielen, erhielt dann aber als weitere Wunschmeldungen "Sylvia Suddenly" und "Virginia", die er beide aktuell nicht parat hatte. Schließlich schlug er alternativ die Jeremy Days-Titel "It is the time" und "Good Morning Beautiful" vor. Letztlich spielte er dann "It is the time" (übrigens das Lied, das Dirk Darmstaedter bei der Hochzeit seines Freundes letztlich zum besten gab) und, da wir uns nicht entscheiden konnten, zusätzlich "Rome wasn't built in a day".
Mittlerweile waren, man konnte es kaum glauben, sehr unterhaltsame 90 Minuten vergangen.


Bei unseren Wohnzimmerkonzert-Veranstalter-Kollegen in Mendig ist Dirk Darmstaedter bereits vor einigen Jahren aufgetreten und galt bei diesen als der beste Entertainer, den sie jemals zu Gast gehabt hatten. Nach dem Auftritt bei uns kann man dieses Urteil allzu gut verstehen. Die Mischung aus guten Songs und unterhaltsamen Geschichten stimmte einfach.

Hoch anrechnen müssen wir unserem musikalischen Gast seine Flexibilität und Spontaneität bei der Song-Auswahl, denn außer "Julie thru the Blinds" hatte seine ursprüngliche Songauswahl keinen der alten Jeremy Days-Songs vorgesehen. Im Gegenzug hoffe ich, dass er ebenso wie ich sehr beeindruckt davon war, dass mein Freund zwei Minuten nach Konzertende die eben noch erwähnte Single "Irresistible" von Stéphanie von Monaco hervorgekramt und aufgelegt hatte.

Setliste:

Motel Blues
Learn to love what's killing me
Western Union
Capetown
This is where I leave you
Pop Guitars
Brand new toy
Number one single
I won't give up on you
Won't die for you
Julie through the blinds
We are there

Beautiful criminals
Walking with your shoes tied together

It is the time
Rome wasn't' built in a day

Vielen Dank an Stephan Glinski für die von der linken Raumseite aus aufgenommenen Bilder!

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